Dienstag, 21. September 2010
Nationen in Uppsala
Ein Thema um das ich mich hier im Blog schon länger herumdrücke, weil es so schwierig zu fassen ist und breiten Raum für Missverständnisse und falsche Assoziationen bietet, sind die Studentennationen in Uppsala. So viel vielleicht vorweg: Wenngleich gewisse Ähnlichkeiten mit den deutschen Studentenverbindungen bestehen, hat beides dennoch nichts miteinander zu tun!
Es ist schwierig, genau zu erklären, was eine Nation ist, weil so viele Facetten zu beachten sind und es selbst in der schwedischen Universitätslandschaft nichts Vergleichbares gibt (außer Lund, aber die zählen nicht). Vielleicht beginne ich mal damit zu erklären, was die Nationen heute ausmacht: Jeder Student der Universität Uppsala muss sich einer Nation anschließen, da diese den Semesterbeitrag einfordern und insgesamt Funktionen übernehmen, die in Deutschland das Studentenwerk ausfüllt. Jede der 13 Nationen besitzt ein eigenes Haus, das mehr oder weniger eindrucksvoll anzusehen ist. Die Nationshäuser bilden einen zentralen Bestandteil im Stadtbild Uppsalas, das generell stark von Universitätsgebäuden geprägt ist. Hier das Haus der "Norrlands Nation", der größten und mitgliederstärksten.

Norrlands Nation

In den Häusern sind oft Pubs untergebracht, die von Studenten betrieben werden, Mittags günstiges Essen und Abends günstiges Bier anbieten. Die größeren Nationen haben regelmäßige Klubbs, Partys die teilweise brechend voll mit Studenten sind und für die man häufig lange anstehen muss, um reinzukommen. Die Nationen haben den Vorteil, dass sie keine Mehrwertsteuer zahlen, weder für Einkäufe noch für Verkäufe an die Studenten, deswegen ist alles sehr günstig (für schwedische Verhältnisse).

Vaermlands Nation

Darüber hinaus werden verschiedene Aktivitäten angeboten. Jede Nation hat einen Sportverein, Fußballteams, die gegeneinander spielen, manche haben Tanzgruppen, Chöre etc. an denen man sich beteiligen. Ich selbst spiele dort Fußball und Volleyball. Für die ganze Sache gilt: Jeder kann sich beteiligen, muss aber nicht. Da aber alles Studenten in Uppsala Mitglied einer Nation sind, bilden diese einen festen Bestandteil im Studentenleben und prägen dieses ungemein - seit teilweise über 350 Jahren. Alle Nationen sind selbst verwaltet, jedes Semester werden aus dem Kreis der Mitglieder die zentralen Posten durch Wahl besetzt. Die Leute, die in Pub und Club arbeiten oder Mittags das Essen kochen sind ebenfalls Mitglieder der Nation. Jeder der möchte und die Fähigkeiten mitbringt, kann sich hier auf einen Job bewerben.

Das Wort "Nation" hat nicht die Bedeutung wie im Deutschen, sondern bezieht sich mehr auf Herkunft oder Ursprung der Mitglieder. Ursprünglich war es so, dass sich die Studenten in Schweden, die sich im 17. Jahrhundert nach Uppsala aufmachten um an dieser rennomiertesten Universität Skandinaviens zu studieren, sich der Nation anschlossen, die den Namen ihrer Landschafts trug. Kam man aus Norrland, schloss man sich der "Norrlands Nation" an, stand das Elternhaus in Södermanland, dann ging es folgerichtig zur "Södermanlands-Nerikes Nation". Insgesamt gibt es in Uppsala 13 dieser Nationen, die nach allen Landschaften Schwedens benannt sind. Heute spielt dies alles eigentlich keine Rolle mehr, jeder Student kann in die Nation eintreten, die das beste Angebot an Aktivitäten hat oder einfach den geringsten Mitgliedsbeitrag fordert. Ich bin der "Värmlands Nation" beigetreten, in der heutzutage wohl nur noch eine Minderheit der Mitglieder aus Värmland stammt.

Wenn man gewohnt ist, in Deutschland zu studieren, dann ist das ganze Nationsthema ziemlich ungewohnt und so geht es wohl auch jedem Studenten, der hier neu an der Universität ist. Aber diese Eigenheit reiht sich gut ein in das Klima, in dem man hier studiert und dem man seitens der Stadt und der Universität immer wieder ausgesetzt ist. Seit 1477 gibt es Studenten in Uppsala, die Stadt war zeitweise Residenzstadt, die Könige aus Vikingertagen sind hier ebenso beigesetzt wie Gustav Wasa, der erste König eines einheitlichen Schwedens. Wenn im Dezember die Nobelpreise verliehen werden, dann kommen einige Tage später alle Preisträger nach Uppsala und halten hier ihre Preisreden noch einmal. Man merkt der Stadt ihre Geschichte und ihre Bedeutung an, der Stolz auf die Tradition ist überall spürbar, gerade wenn es um die Abgrenzung zu Stockholm und der dortigen Universität geht. So war man in Uppsala entsetzt, als die Kronprinzessin vor einiger Zeit nicht in der örtlichen Kathedrale heiratete, sondern in Stockholm! Für diese Mentalität gibt es viele Beispiele und aus diesem Klima heraus müssen auch die Studentennationen gesehen und bewertet werden. Das Studentenleben bewegt sich hier (wenn man sich darauf einlässt) in viel tradtionsreicheren Bahnen, als das in Deutschlands oft der Fall ist. Die Värmlands Nation feiert dieses Jahr 350jähriges Bestehen, der Architekt des Nationshauses hat auch das Rathaus in Stockholm gebaut, in dem das Nobelpreisdinner gegeben wird. Der schwedische König ist Mitglied der Stockholms Nation, viele namhafte Wissenschaftler und Nobelpreisträger waren selbst Mitglieder in einer der Studentennationen Uppsalas. Das ist der Hintergrund, der hinter der ganzen Sache steht und man spürt dies sehr häufig.

Dies ist einer der Gründe, die das Auslandssemester hier in Uppsala so großartig und eindrucksvoll machen. Es ist in jeder Hinsicht voll von neuen Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen. Starke Kontraste zum Studentenleben in Hannover, nicht immer besser aber anders und damit interessant. Ich werde hier im Blog weiterhin versuchen, das so gut es geht rüberzubringen, was ich hier erlebe.



Mittwoch, 15. September 2010
Wanna go to Tallinn tomorrow?
Das war um 23:30 Uhr auf der wöchentlichen Party der Värmlands Nation (der ich übrigends beigetreten bin, aber dazu und zum ganzen Nationssystem später mehr). Wenige Stunden später machten sich 18 vergnügungssüchtige Austauschstudenten auf den Weg nach Estland - ohne irgendetwas geplant zu haben oder viele Gedanken an die Vorlesungen am Montag zu verschwenden. Kurzer Zwischenstop im Reisebüro, Kabinen für die Nächte gebucht, Sprint zum Zug um rechtzeitig nach Stockholm zu kommen, U-Bahn zum Fährhafen und rauf auf die "Baltic Queen" zu einer insgesamt 34-stündigen Fährfahrt mit 6 Stunden Aufenthalt in Tallinn.

Tallin 1

Die ganze Tour war so ziemlich das komplette Gegenteil zu der Tour nach Gotland, die ich unten beschrieben habe. War diese noch mit im wahrsten Sinne des Wortes deutscher Gründlichkeit überorganisiert, so war der Trip nach Tallinn von Anfang bis Ende spontan und damit umso besser bzw. erinnerungswürdiger. Nicht dass ich auf Gotland nichts gesehen hätte, aber der Faktor des Unerwarteten hat die Erfahrungen am letzten Wochenende umso intensiver gemacht, die Erlebnisse auf der Fähre haben ihr Übriges dazu beigetragen.

Tallinn 2
Tallinn 3

Im Vergleich zu den horrenden Preisen in Schweden war der Alkohol auf der Fähre unfassbar günstig. Meine Mitbewohnerin, die in Schweden aufgewachsen ist und lange auf solchen Schiffen gearbeitet hat, erzählte mir heute, dass viele Passagiere das Schiff in Tallinn überhaupt nicht verlassen, sondern sich nur betrinken und dann mit haufenweise Alkohol in Stockholm wieder von Bord gehen. In gewisser Weise hat es meine Gruppe diesen Personen gleichgetan, aber wenigstens haben wir uns am Sonntag intensiv Tallinn angeschaut. Bei nur wenig Schlaf verdient dies besondere Anerkennung, nachdem wir um 05:30 aus dem "Ibiza Club" der Fähre entfernt wurden und das Schiff bereits um 09:00 wieder verlassen haben. Schlaf hatte das Wochenende also nicht viel zu bieten.

Tallinn 4
Tallinn 5

Tallinn ist auf jeden Fall eine Reise wert, auch wenn die sechs Stunden Aufenthalt absolut gereicht haben. Eine sehr schöne mittelalterliche Altstadt mit vielen historischen Gebäuden, großer Stadtmauer aus dem Mittelalter und einigen sehenswerten Ecken. Sehr deutsche Prägung, was aufgrund der lang zurückreichenden Einflüsse deutscher Kaufleute und Bevölkerungsteile nicht verwundert. Am späten Nachmittag ging es dann zurück auf die Fähre und das Prozedere startete von vorne (siehe oben).

Tallinn 6
Tallinn 8

Was bleibt ist nicht nur ein Schlafdefizit in dreistelliger Stundenzahl (naja, nicht ganz), dass aber in ein paar Tagen vergessen sein wird. Es bleiben großartige Erinnerungen an unglaublich tolle Leute aus verschiedensten Ländern, deren Unterschiede bei solchen Gelegenheiten fast gänzlich verschwimmen. Nächste Woche dann Helsinki...und dann Riga...die sechs Monate haben einfach zu wenig Wochenenden...

In der Chronologie meiner Erlebnisse hier bin ich etwas gesprungen, dafür überschlagen sich die Ereignisse hier einfach zu sehr. Einige Dinge der letzten Wochen werde ich nachtragen, weil sie sehr eindrucksvoll für schwedische Kultur und Traditionen sind und ich sie teilweise in Begleitung eines sehr lieben Besuches aus Hannover erleben durfte :)

Tallinn 7



Mittwoch, 25. August 2010
Destination >> Gotland
Im ganzen (postitiven) Stress der Orientation Week schnell ein kurzer Bericht über die vergangenen Tage. Das Wochenende habe ich auf Gotland, der größten Insel Schwedens, verbracht. Trotz der Zusammenstellung der Gruppe hat von der Organisation her doch alles gut geklappt: 5 Deutsche waren dabei, 1 Holländerin, 1 Italiener und 3 Studenten aus Singapur. Die drei haben sich dem Klischee von asiatischen Studenten perfekt angepasst und wirklich jede Fußmatte fotografiert. Selbst die blonden Haare auf meinem Oberarm haben Interesse ausgelöst.

Gotland 1

Das Bild ist auf der Fährüberfahrt nach Gotland entstanden. Bei dem Versuch, mir endlich diese Bräune zuzulegen, die meinem ansonsten doch recht schwedischen Äußeren noch fehlt, habe ich mir dabei erstmal einen ordentlichen Sonnenbrand geholt. Da sag nochmal jemand, in Schweden wäre es immer kalt.
Bei der Gelegenheit ist mir das erste Mal aufgefallen, wie schnell ich mich doch von dem ganzen Stress der letzten Monate erholt habe. Bei strahlendem Sonnenschein, leichtem Wellengang und einem sündhaft teuren aber gekühltem Bier in der Hand war alles sehr weit weg: massenhaft Referate, Hausarbeiten unter Zeitdruck und peitschenschwingende Professoren. Wäre ich in Deutschland geblieben, säße ich jetzt sicherlich wieder an irgendeiner Hausarbeit, so aber lässt es sich eindeutig besser aushalten.

Gotland 3

Gotland 4

Gotland 5

Gotland 2

In dieser Woche ist Orientation Week und die Stadt füllt sich zunehmend mit Studenten. Meine Erasmus-Koordinatorin schätzt, dass in dieser Woche ungefähr 25.000 Studenten in die Stadt kommen, man kann sich vorstellen, was das bedeutet. Ansonsten finden dauerhaft irgendwelche Kennenlernveranstaltungen statt, morgen ist ein Brunch, Samstag Fahrradtour und Sonntag Krebs-Essen. Das ist zu dieser Jahreszeit eine typische schwedische Tradition, man trifft sich (meist draußen), setzt sich lustige Hüte auf, trinkt Schnaps und isst dazu Flusskrebse. Das ganze nennt sich dann Kräftskiva und findet hier im Moment überall statt. Unter Umständen muss ich mir dafür noch ein Jackett besorgen, die Schweden sind bei der Kleiderordnung sehr streng und kleiden sich bei bestimmten Gelegenheiten sehr elegant. Da kann dann auch schonmal ein Frack vorgeschrieben sein.



Samstag, 14. August 2010
Some impressions on life in Uppsala...
Der schwedische Sommer hat in den letzten Tagen nochmal richtig gezeigt, was er zu bieten hat. Andauernder Sonnenschein für vier Tage, keine Unterbrechungen durch sintflutartigen Regen - das bedeutet aber auch, dass ich fast keine Zeit hatte, an dieser Stelle über irgendwas zu berichten. Auch jetzt bin ich nur kurz auf Stippvisite im Wohnheim und werde gleich zum Barbecue gehen. Daher müssen an dieser Stelle ein paar Bilder reichen, die aber für sich sprechen und einen guten Einblick in die letzten Tage geben:

Ostsee mit Schwan

Grillen

Schaerentour Stockholm

Soedermanlands-Nerikes Nation

Ostsee 13.08.2010



Sonntag, 8. August 2010
Stockholm I
Seit einer Woche kein neuer Eintrag, das tut mir leid für alle Leser, die hier vielleicht regelmäßigere Informationen erwartet haben oder sich von den Anekdoten zur schwedischen Geschichte noch nicht haben langweilen lassen. Seit fast zwei Wochen bin ich jetzt hier und die Zeit war wirklich unglaublich ereignisreich, beinahe ohne richtige Freizeit und häufig mit nur wenig Schlaf. Die Sommerwochen wollen genutzt werden, bald wird es Winter, die Tage werden kürzer und die Dunkelheit legt sich über die meisten Stunden des Tages. Dann ist es zu spät für die meisten Unternehmungen, was nicht heißt, dass Schweden dadurch an Attraktivität verliert, aber die Helligkeit wird sich dann auf wenige Stunden beschränken. Den Plänen nach zu urteilen, die gerade geschmiedet werden, könnten die nächsten Wochen noch mindestens ebenso ereignisreich werden...

Heute stand der erste, organisierte, Aufenthalt in Stockholm auf dem Programm, der sicher nicht der letzte gewesen sein wird, da die Zugverbindung nach Uppsala wirklich sehr bequem sind. Daher hier auch nur ein kurzer Einblick in den beeindruckendsten Programmpunkt des heutigen Tages, das Vasa-Museum. Andere Eindrücke in die wirklich außerordentlich schöne Stadt und die Umgebung folgen dann später.

Vor einigen Jahren war ich schon einmal in diesem Museum und muss sagen, dass es seit dem kein Stück seiner Attraktivität und Eindrucksmacht eingebüßt hat. War Schloss Skokloster ein Eindruck für die Macht des schwedischen Adels im 17. Jahrhundert, so gibt das Vasa-Museum einen Einblick in Machtfülle und Vergänglichkeit der schwedischen Großmachtstellung im 17. Jahrhundert.

Wasa 1

Die "Vasa", am 10. August 1628 in Stockholm vom Stapel gelaufen und nur kurz darauf im Hafen gekentert und gesunken. Ein Konstruktionsfehler und die vollkommen überzogene Bestückung mit Kanonen und Mastaufbauten bewirkten Instabilität, die dem designierten Flagschiff des schwedischen Königs zum Verhängnis wurde. Im Schlamm des Stockholmer Hafens konserviert, wurde es über 300 Jahre nach seiner kurzen Jungfernfahrt geborgen, über Jahrzehnte konserviert und dann ausgestellt.

Wasa 2

Nicht ganz zwei Jahre später später griff der Auftraggeber der Vasa, Gustav II. Adolf von Schweden, in den Dreißigjährigen Krieg ein, um ein weiteres Mal den schwedischen Großmachtanspruch im Ostseeraum und auf dem Kontinent zu untermauern. All dieses Selbstbewusstsein, dass sich auf den beispiellosen Aufstieg Schwedens im 17. Jahrhundert stützte, findet sich in der Symbolik der Wasa wieder: In der schlichten Größe wie in der Ausstattung mit Kanonen und Schnitzereien. Anders als in späteren Jahrhunderten war es nicht nur militärische Schlagkraft, mit der das Schiff ausgestattet werden sollte. Es war vielmehr eine Projektionsfläche für die königliche Herrschaftssymbolik, als Allegorie von Macht, Größe und militärischer Stärke gedacht.

Wasa 3

Die Vasa ist daher an allen erdenklichen Stellen mit Schnitzereien überhäuft, mit Darstellungen römischer Soldaten oder Fratzen, die Schrecken bei Freund und Feind erzeugen sollten.

Wasa 4
Wasa 5
Wasa 6

Die Bilder können sicher nur einen kleinen Eindruck davon geben, wie das Schiff insgesamt auf den Besucher wirkt. Wie sich heute erwiesen hat, trifft das nicht nur auf angehende Historiker zu, die ein immer größeres Faible für die Geschichte Schwedens entwickeln. Allen eher gelangweiligten Lesern verspreche ich, demnächst auch mal etwas über die örtliche Partyszene zu schreiben. Bald beginnt das Semester, die schwedische Urlaubszeit ist vorbei und die Stadt wird sich in der nächsten Zeit wieder langsam mit Studenten füllen.