Ich muss gestehen, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet habe, einmal Wandern zu gehen. Im Gegenteil, Outdooraktivitäten habe ich bisher immer eher als Therapie für dem Fitnesswahn verfallene und dauerhaft gestresste Großstädter abgetan. In den Städten liegt die Kultur, die man sich auf Reisen anschauen sollte, die Natur drumherum ist höchstes nettes Beiwerk, so meine bisherige Auffassung. Nun hat aber der Aufenthalt hier in Schweden schon das ein oder andere Mal Seiten in mir zu Tage befördert, derer ich mir überhaupt nicht bewusst war. Daher passt es auch ins Bild, dass ich letztes Wochenende auch die oben beschriebene Denkweise abgelegt habe und mich kurz entschlossen und mal wieder sehr spontan in eine Sache gestürzt habe, die noch vor einiger Zeit überhaupt nicht in meine Vorstellungswelt gepasst hätte. Wandern in Lappland, in einer Zeit, in der die Saison längst vorbei ist, alle Touristeninformationen bereits geschlossen haben; in ein Gebiet Schwedens für das im Reiseführer eine "expeditionsartige Vorbereitung" empfohlen wird. Vier Tage vor Abflug nach Kiruna habe ich mir dann Wanderschuhe gekauft und schon die schlimmsten Befürchtungen im Kopf, mit vollkommen entstellten Füßen wieder zurückzukommen, da kaum Zeit zum Einlaufen war. Bedenken, die sich letztendlich übrigens nicht bewahrheitet haben. Also ging es am Donnerstag mit dem Flugzeug in den Hohen Norden, nördlich des Polarkreises und nördlicher als ich bisher je gewesen bin. Hinein in ein Wochenende, das das Beste der vergangenen zwei Monate werden sollte und ich gründlichst von der oben beschriebenen Denkweise kurieren sollte.
Lappland ist unglaublich einsam und nahezu unbevölkert. Von Kiruna, einer unfassbar hässlichen Bergbaustadt die keiner Erwähnung wert ist, und Abisko, unserem Wohnort für die nächsten Tage, sind es knapp 100 km. Auf der ganzen Strecke gibt es keine Kreuzung und der ganze Gegenverkehr beschränkte sich auf ein einzelnes Auto. Ein riesiger See umringt von hohen Bergen, Abisko als kleiner Stützpunkt für Wanderer und eine Bahnlinie auf der Tag und Nacht Eisenerz nach Norwegen transportiert bilden die einzigen Bestandteile der Landschaft. Ist man allein unterwegs, so mag dies sehr gespenstisch wirken, aber Dank der neun Mitreisenden war das nicht der Fall. Drei volle Tage standen uns in Abisko zur Verfügung, von denen wir zwei zum Wandern genutzt haben und darüber hinaus mit dem Auto nach Norwegen gefahren sind. Dafür, dass die wenigsten aus der Gruppe vorher Wander-Erfahrungen gesammelt hatten, haben wir und nicht schlecht geschlagen. Laut GPS waren wir an beiden Tagen je knapp 25 km unterwegs und das teilweise über Pfade, die den Namen eigentlich nicht verdienen.
Der Eindruck, den die Natur lässt sich schwer in Worte fassen und kann auch von den Bildern nur schlecht wiedergegeben werden. In Lappland herrscht ein sehr eigenartiges Licht, das zumindest meiner Kamera große Probleme bereitet hat. Durch den anbrechenden Herbst und die Lage im Polarkreis steht die Sonne sehr tief und taucht die Gegend in ein gleißendes Licht. Gegen Morgen und Abend ist dann alles rot angestrahlt, die Berge, die schneebedeckten Gipfel und alles spiegelt sich im Wasser des Sees - unglaublich beeindruckend. Am zweiten Tag haben wir dann die gemieteten Autos für einen ausgiebigen Trip nach Norwegen genutzt. Bereits nach 100 km in westlicher Richtung hatte sich nahezu alles geändert, was Lappland ausmacht: Die Gegend war plötzlich bevölkert, das Klima angenehmer und Laubbäume zogen sich die Berghänge hinauf. Das maritime Klima scheint sich hier bemerkbar zu machen, die riesigen Fjorde transportieren warmes Wasser an die Küste und die Gegend wird dadurch wesentlich attraktiver zum Leben als das karge und einsame Lappland.
In der Nacht vom Donnerstag ist dann etwas geschehen, was zwar für diese Jahreszeit sehr selten ist, aber dennoch von allen Mitreisenden erhofft wurde: Das Nordlicht! Auch hier können die Bilder nur einen kleinen Eindruck von der eigentlichen Intensität wiedergeben. Unfassbar, wie eine simple Naturerscheinung die nur aus einem Licht am Himmel besteht, so beeindruckend wirken kann. Das grünliche Flackern am Himmel, dazu der in dieser Nacht sehr helle Mond, der Sternenhimmel, der durch die Einsamkeit voll zu Geltung kam, und die Spiegelung des Ganzen im See - ein wirklich unvergessliches Erlebnis um dass uns viele in Uppsala sehr beneidet haben.
Aurora Borealis - zu dieser Jahreszeit? Und in diesem Teil des Landes und noch dazu in ihrer Küche?? (Wer das erkennt, bekommt ein schwedisches Bier ausgegeben). Die Reise in den Norden Schwedens hat dem Auslandssemester wieder ein paar neue und unvergessliche Facetten hinzugefügt. Ich kenne jetzt eine weitere Seite des Landes, das eben nicht nur aus den angenehmen und relativ bevölkerten Gebieten im Süden besteht, sondern durchaus auch eine raue und urspüngliche Seite hat. Ich habe das Nordlicht gesehen und dass sicherlich für längere Zeit das letzte Mal; ein Erlebnis von dem ich wohl noch lange erzählen werde. Ich habe das Wandern für mich entdeckt, das unglaublich viel Spaß macht und die Gelegenheit bietet, ein Land von einer ganz anderen und intensiveren Seite zu entdecken. In jeder Hinsicht also ein Wochenende, das nur schwer zu überbieten ist und meine Reise- und Unternehmungslust nur noch gesteigert hat. Da es allen anderen Mitreisenden genauso geht, darf man gespannt sein, was die nächsten Wochen noch zu bieten haben werden.
Jetzt fange sogar ich hoffnungslose Stubenhockernatur langsam an, neidisch zu werden, Gratulation - auch dank deiner Karte, die übrigens angekommen ist, was ich dir nur noch mitteilen wollte... vielen Dank dafür, ich hab mich sehr gefreut! LG - HS
P.S.: Ein sehr schöner Blog hier, hoffentlich bleibst du dabei - aber auf die stundenlange Dia-Präsentation verzichte ich trotzdem nicht, tut mir leid.